Prinzipien des Aufbaus einer Weltordnung

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Georg Vancura, 6. Mai 2020

Seit dem Ende des Kalten Krieges befassen sich Politiker, Journalisten und Studenten mit der Frage, wie die Welt neu an die veränderten Bedingungen angepasst und gestaltet werden könnte bzw. sollte. Es geht nicht nur darum, mögliche Konflikte und die Entstehung von Konfliktursachen zu verhindern, sondern auch darum, solche Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens auf unserem Planeten zum Wohle aller Menschen zu finden, welche Sicherheit und Wohlergehen fördern.

Mathias Döpfner hat das Verhältnis der USA, Chinas und die Rolle Westeuropas in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht analysiert und seine Schlussfolgerungen für Europa in seinem Artikel ‘Weltordnung’ in der Zeitung „Welt am Sonntag“ vom 3. Mai 2020 pointiert dargelegt. Der Autor beschreibt mit seltener Klarheit die Unterschiede zwischen den zwei Weltmächten: Auf der einen Seite die demokratischen USA und auf der anderen Seite das totalitäre und sich ausbreitende System Chinas. Daraus folgert er, dass die BRD (und EU) sich für einen dieser Partner exklusiv entscheiden muss, nämlich ob sie an der Seite des totalitären und auf Dominanz zielenden China, oder der demokratischen und manchmal unstetigen USA stehen will. Dass er die USA als Partner aus politischen (gemeinsame Werte und Interessen) und historischen (gemeinsame Geschichte und Hilfe in zwei Weltkriegen) Gründen empfiehlt, überrascht daher in keiner Weise. Allianzen haben dann eine grössere Aussicht auf Erfolg, wenn sie auf langfristig wirksamen Grundwerten und nicht auf den sich häufig ändernden Interessen aufgebaut werden. Eher ungewöhnlich ist sein Vorschlag, die BRD solle auch ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China reduzieren, weil China darüber ihren politischen Einfluss ausbaut, Stichworte sind Seidenstrasse, Huawei etc.

Überraschend ist in seinem Artikel aber die Einengung seiner bipolaren Optik: Es gibt neben den USA und China noch die andere Supermacht Russland, welche diesen Status jetzt v.a. wegen seiner Grösse und der militärischen Stärke verdient und nicht unbedingt wirtschaftlich überzeugen kann. Weiter wären noch die anderen, stärker werden Staaten wie Indien und das leistungsfähige und sich zurückhaltende Japan zu erwähnen. Auch jene Staaten dürfen nicht ausser Acht gelassen werden, welche sich weiter entwickeln wollen (Rest von BRICS) und solche aus dem Mittleren Osten, welche sich mit der gegenwärtigen Weltordnung und mit ihren Nachbarn schwer tun. Alle diese müssten funktional in der einen oder anderen Form in die Weltordnung einbezogen werden, um nicht weitere Konflikte entstehen zu lassen. Wir leben heute in einer multipolaren Welt, in der die Staaten ihre Interessen verfolgen und, je nach Allianz oder überregionaler Organisation,  in einem mehr oder weniger ausgeprägtem Konkurrenzverhältnis zu einander stehen. In der globalisierten Welt gilt es Konflikte friedlich zu lösen, Kriege sind auf jeden Fall zu verhindern und wirtschaftliche Fragen nach dem Prinzip der Gleichberechtigung, Ausgewogenheit und offener Märkte zu lösen.

Als Modell für die Analyse, Beschreibung und Gestaltung des heutigen erweiterten und multipolaren Weltordnungssystems eignet sich die Situation nach dem Wiener Kongress 1815: Die damaligen Grossmächte Preussen, Russland, Grossbritannien, Österreich-Ungarn und Frankreich standen miteinander fast 100 Jahre in einem harten Konkurrenzverhältnis, haben sogar gegeneinander gekämpft, ohne aber einander das Existenzrecht abzusprechen oder aktiv am Untergang der einen oder anderen Grossmacht zu arbeiten. Der Handlungsspielraum anderer Staaten war durch diese imperialen Grossmächte und deren Einflusszonen eingeengt, von den Kolonien ganz zu schweigen.

Nicht nur aus dieser Optik stellt sich für Europa und damit auch für die BRD die Frage, welche Rolle es in diesem ‘Konzert’ auf der Weltbühne spielen soll? Vom Standpunkt der souveränen politisch-wirtschaftlich-technologischen Gestaltung ergibt sich für Europa in der heutigen Weltordnung folgendes Szenario: Europa soll sich mehr Eigenständigkeit erarbeiten durch weiteren gezielten Aufbau seiner wirtschaftlichen, technologischen, politischen und auch sicherheitsrelevanten Mittel, um ein annäherndes Gleichgewicht in einem System der gleichberechtigten Staaten zu erreichen.  Derart positioniert und aufgebaut, könnte es dann eine wichtigere Rolle im ‘Konzert’ der Weltmächte spielen und eine aktivere Rolle bei der Gestaltung und Erhaltung des Weltsystems übernehmen – anstatt auf der Suche nach einem Schutzpatron zu sein, um vor anderen geschützt zu werden, oder sich passiv gegen wirtschaftliche Einflüsse und Nachteile zu wehren. Ein annähernd gleicher Partner hat die Chance, nicht nur akzeptiert, sondern auch respektiert zu werden und seine eigenen Interessen besser realisieren zu können – und damit mehr sein, als ein Anhängsel der Euroasiatischen Landmasse. Im Weiteren könnte ein solches Europa eine Vorbild- und eine aktive Gestaltungsrolle sowohl für die aufstrebenden Staaten wie Indien, Brasilien und Südafrika, wie auch eine Perspektive für die sich in der Krise befindenden Staaten im Mittleren und Nahen Osten darstellen.

Schon Henry Kissinger hat in seinen Büchern ausführlich beschrieben, dass ein Lavieren zwischen den Blöcken nur kurzfristig einige Vorteile bringen kann. Auf die Dauer ist eine eigenständige, selbstbewusste und auf den politischen, kulturellen und humanistischen Prinzipien der letzten 2000 und auf dem wirtschaftlich-technologischen Knowhow der letzten 100 Jahre langfristig aufbauende Gesamtpolitik für Europa erfolgsversprechend.

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