Empörung und Sorge in Kiew nach Nord-Stream-2-Abkommen

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Marcel Zwygart, 30. August 2021

Nach der Unterzeichnung des Abkommens zwischen Deutschland und den USA zur Fertigstellung und Inbetriebnahme der neuen Gas-Pipeline Nord Stream 2, reagiert die Ukraine empört. Die größte ukrainische Tageszeitung Fakty i kommentarii titelt: „Verrat“. Einschätzungen aus einem Gespräch mit Dr. Andreas Umland, Mitarbeiter am Ukrainischen Institut für die Zukunft in Kiew.

Das Verhalten Berlins, das bereits bei anderen für die Ukraine wichtigen Unterstützungen versagt hat, wurde antizipiert. Dass jedoch die Vereinigten Staaten von Amerika unter der Biden-Administration diesem Abkommen zustimmen würden, löste in Kiew eine Schockwelle aus. Die Ukraine sieht ihre Sicherheitsarchitektur sowie wichtige Einnahmen durch den Gastransit in Gefahr. In Anbetracht der aktuellen russischen Truppenkontingente und Waffen an der Grenze zur Ukraine eine verständliche Reaktion. Nach der Ablösung Donald Trumps als US-Präsident wurde unter Joe Biden mit einem stabileren Bündnis gerechnet.

Nachdem das von den USA, Großbritannien, der Russischen Föderation und der Ukraine unterzeichnete Budapester Memorandum nicht eingehalten wurde, welches die Grenzen der Ukraine von 1994 gegen Abgabe der Nuklearwaffen garantiert, ist die Haut in Kiew bezüglich Zuverlässigkeit von Vertragspartnern dünn. China und Frankreich haben separate Garantien abgegeben. Auch im Rahmen des Assoziierungsabkommens mit der EU, welches außen- und sicherheitspolitische Punkte beinhaltet, ist bezüglich der Verletzung der ukrainischen Grenzen wenig substanzielle Unterstützung zugesprochen worden. 

Gemäss Andreas Umland ist die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 noch nicht unter Dach und Fach. Verschiedene Lager in den USA, der EU und auch in Deutschland werden das Abkommen aus geopolitischen und/oder wirtschaftlichen Gründen in dieser Form nicht akzeptieren und torpedieren.

Weshalb kam es zu einem Meinungsumschwung in der Biden-Administration? Die Volksrepublik China wird auch in der Biden-Administration als Hauptkonkurrent angesehen. Nachdem unter Trump schon fast eine Anti-Berlin-Strategie gefahren wurde, will Biden mit diesem Abkommen einen großen Schritt auf Deutschland zugehen, um gegen China geschlossener dazustehen. Die Kernaussage Washingtons: China ist wichtiger als Russland. Dieses Signal wird auch in der Ukraine so verstanden.

Nach der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 werden durch die geringere Transportmenge die Einnahmen aus dem Gastransit sinken. Zudem werden laut Umland schon heute nur ca. die Hälfte der Kapazität der ukrainischen Leitungen genutzt. Falls die Transitmenge in den Leitungen weiter abfällt, könnte auch die lokale Weiterversorgung in der Ukraine durch Gas zu einem Thema werden.

Was die Ukraine bezüglich geopolitischer Sicherheit im Kleinen erlebt, kann auch Europa widerfahren. Die USA (inklusive NATO) werden von den zwei Rivalen Russland und China auf Trab gehalten. Seitens Russlands durch die aufgebaute Drohkulisse im Donbass, von Seiten Chinas durch den Aufbau von Stützpunkten im Südchinesischen Meer sowie Drohgebärden gegenüber Taiwan und anderen Anrainer-Staaten. Für die USA hat der Pazifische Raum erste Priorität. Erst dann kommen die Ukraine und Europa.

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