Der schwierige Übergang in Russland nach Putin

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Georg Vancura, 23. Juli 2023

Überlegungen zum Thema  eines Kommandowechsels im Kreml und eines zukünftigen Russlands nach Putin.

Die Rebellion des Kommandanten der Wagner-Truppen, Jewgeni Prigoschin, gegen die Staats- und Armeeführung in Moskau am 23. Juni hat die Diskussion über die Stabilität der Kremlführung und die Möglichkeiten einer Ablösung Putins entfacht. Die Frage nach der Putin-Nachfolge wird sich so oder so stellen – entweder im Zusammenhang mit einem Umsturz oder in einem mehr oder minder geregelten Ablösungsprozess.

Die hoffentlich geregelte Nachfolgeregelung in Russland wird für Europa eine grosse Bedeutung haben und verdient daher unsere Aufmerksamkeit.

In der Neuen Zürcher Zeitung vom 10. Juli 2023 wurden vier Machtwechsel-Szenarien wie folgt beschrieben: a) Farbige Revolution, das heisst Proteste und Aufstand der Bevölkerung, b) Militärputsch, das heisst Machtübernahme durch Vertreter der Armee oder der Sicherheitsapparate,  c) Geordnete Nachfolge von Putins Gnaden, und schliesslich d) ein Machtkampf und Machtvakuum in der Elite mit entsprechend unangenehmen Folgen vor allem im Inneren. Eine wahrscheinlichere und für den Westen günstigere Variante, nämlich Aufbegehren und Machtübernahme durch die Wirtschaftselite und Technokraten, hat jedoch in der Beschreibung gefehlt. Um Putin herum hat sich eine Gruppe reicher Oligarchen gebildet, die sehr grosses Interesse daran hat, Ihren Reichtum zu schützen und wieder die Yachten, Flugzeuge und die Luxus-Immobilien frei zu nutzen und ihren Kindern die Ausbildung an den besten westlichen Universitäten zu bezahlen. Ein wirtschaftlicher Niedergang oder Vermögensminderung bzw. Vermögensverlust als Folge von immer strengeren Sanktionen und steigenden Kriegskosten läuft ihren Zielen diametral entgegen. In dieser Situation könnten sie geneigt sein, Putin durch einen anderen Politiker zu ersetzen, der den Krieg und damit die Sanktionen beendet und ein Machtvakuum mit inneren Kämpfen verhindert. Nicht zufällig boten einige im Westen lebende Oligarchen im Sommer 2022 den USA und indirekt damit der Ukraine die Hälfte ihres Vermögens an, um von der Sanktionsliste gestrichen zu werden.

In der NZZ am Sonntag vom 2. Juli 2023 wurde eine Unzufriedenheit der Elite mit der heutigen Situation beschrieben und mögliche Putin-Nachfolger aus den Bereichen Wirtschaft, Bürokratie, Ideologie, Agenten (FSB, SVR), Militär und Verteidigungsministerium genannt – ohne eine eindeutige und aussichtsreiche Führungspersönlichkeit nennen zu können.

Aus dem Umkreis der ‘Silowiki’, also aus dem Kreis der Sicherheitsapparate oder der Armee, dürfte der neue Führer nicht kommen, weil die ersteren die Lage in der Ukraine falsch eingeschätzt haben und die Militärs sich in einem lange andauernden Krieg befinden, den sie ursprünglich mit einem Blitzsieg feiern wollten. Prigoschin hat die Armeeführung mehrmals kritisiert und seine Soldaten haben in Bachmut erfolgreicher gekämpft als die russische Armee, worauf ihm das Verteidigungsministerium die Munitionslieferungen gekürzt und der Kreml seine Wirtschaftsverträge begrenzt hat. Folglich blieb ihm nichts anderes als eine aussichtslose Rebellion ohne breite Unterstützung übrig.

Die Afghanistan-Erfahrung zeigt, dass Russland einen 10-jährigen Krieg gegen das Land und den Rest der Welt weder militärisch gewinnen noch wirtschaftlich durchstehen kann. Je länger der Krieg dauern und die physischen wie später auch psychischen Ressourcen Russlands beanspruchen wird, desto nachhaltiger wird sich die Frage nach einer Änderung der Politik und damit auch der Ablösung führenden Politiker und Militärs stellen. In diesem zukünftigen und hoffentlich geordnet ablaufenden Machpoker-Spiel dürften die Wirtschaftsfachleute (Ministerien, Business) und/oder die Bürokraten (Städte, Verwaltung) aus dem Verwaltungsapparat bessere Karten in den Händen haben als die ‘Silowiki’. In einer ausgesprochen kritischen Krisensituation würden die Karten anders verteilt.

Ein neuer an die Macht gekommener Politiker würde die Wirtschaft priorisieren, den Krieg mit einem Gesicht wahrenden Frieden beenden und schliesslich mit konsequenten Methoden den inneren Zusammenhalt Russlands gegen zentrifugale Kräfte schützen müssen. Ein solches Szenario ist auch im Interesse Europas, würde es doch die Last der Kriegs- und Verteidigungsausgaben im Osten und im Westen verringen und neue Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit einem friedlichem Russland eröffnen. Umgekehrt erhielte damit Russland die Möglichkeit, die eigene Entwicklung mit westlicher Technologie anzukurbeln und diese mit Rohstoffen, Gas und Erdöl zu bezahlen. Aus russischer Sicht ist Europa der bessere Partner als eine orientalische Grossmacht.


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